SWISS QUAKERS

„Unsere Mannigfaltigkeit lädt uns ein, über das zu sprechen, was wir als wahr in unserem Leben erfahren haben, und gleichzeitig von anderen zu lernen.  (Quäker Glauben und Lebenspraxis 1.01)

Gedanken eines Freundes zum Thema der Jahresversammlung

Wenngleich ein nicht-Quäker, sondern einer am Quäkertum Interessierter, bitte ich darum, gemäss dem oben erwähnten Quäker Zitat einige meiner Gedanken mitteilen zu dürfen. Es geht um ein Weiterspinnen von dem an der Jahresversammlung behandelten Thema der gewaltlosen Kommunikation, für dessen Beitrag ich mich bei Senovio und Michel herzlich bedanken möchte.

Ich denke, dass gewaltfreie Kommunikation ein extrem relevantes Thema ist, insbesondere mit Blick auf das politische Klima von heute und weil wir gegenüber Menschen verbaler Gewalt, ihnen mit ebenbürtiger Gewaltsprache zu erwidern, nicht per se immun sind.

Ich habe mir seither einige Gedanken über mögliche Ursachen von sprachlich Gewalt-erfülltem Umgang gemacht; ein solcher entsteht ja schließlich nicht grundlos. Wenngleich wir in unserem alltäglichen Leben nicht stets mit hitzigen Debatten, wie sie einem Politiker widerfahren, konfrontiert werden, tragen viele von uns ein Rucksäckli mit Verletzungen längst vergangener Angriffen, Beleidigungen oder Beschuldigungen mit sich. Dass wir uns in einer aktuellen Situation, welche einer längst vergangenen gleicht, gedankenlos gereizt und aggressiv verhalten, dafür ist unser unterbewusstes Erinnerungsvermögen verantwortlich. Ein Beispiel: Weil man in der Kindheit von einem Lehrer auf demütigende Art belehrt wurde, reagiert man heute noch aggressiv auf gut gemeinte Belehrungen.

Gewalt-erfüllter Umgang steht in engem Zusammenhang mit Konflikten und unseren unterschiedlichen Perspektiven, Überzeugungen und den daraus hervorgehenden Entscheidungen. Oft ist es Angst, dass wir durch Fremdbestimmung die Kontrolle über unser Leben verlieren könnten oder sie bereits verloren haben, welche zu einer unbeherrschten Sprache führt. Angst führt, je nach individueller Veranlagung, entweder zu Aggression oder Depression und damit zu Zorn gegen andere oder gegen sich selbst.

Ich versuche Äußerungen von Zorn zusammenzufassen:

Hitzköpfig, bösartig, ohne Form und Stil, erzürnt und schartig, bringt sich als Opfer mit ins Spiel.

Gereizt, nachtragend, verkörpert Erbitterung schlechthin; selbst-verhasst und nagend spukt Flüche mit Toxin.

Griesgrämig und grollend, bringt Selbstjustiz ins Spiel; Rache zollend, stets schwankend auf unstetem Kiel.

Es ist der Menschheit schlimmster Dorn. Wer’s nicht erraten hat, es ist schlichtweg der ZORN!

Zorn bildet sich aufgrund von Ärger und Empörung. „Mensch ärgere dich nicht“ ist der allgemein akzeptierte Umgang in der Gesellschaft. Dies hat auch etwas mit Stolz und Souveränität zu tun; schließlich will man sich in der Öffentlichkeit nicht stets entblössen. Der Buchautor Pierre Stutz bekennt, dass er das Aufflackern von  seinem meist verdrängten Zorn auch nicht akzeptieren konnte. Und doch – sagt er in seinem Buch Lass dich nicht im Stich – Die spirituelle Botschaft von Ärger, Zorn, und Wut“dass das Empfinden von Zorn genauso zum Menschsein gehört wie alle anderen Empfindungen. Schliesslich gibt es nebst den Herausforderungen von Menschen mit gewaltvoller Sprache und unserem empfindsamen Reagieren auf vergangene Verletzungen noch sehr vernünftige Gründe, um empört zu sein. Pierre Stutz sagt: „Gefragt ist ein konstruktiver Umgang mit Aggression, der damit beginnt, Selbstvertrauen zu entwickeln und den Mut, sich nicht im Stich zu lassen, sondern zu wehren.“

Mit seinem Plädoyer, dass Empfindungen von Ärger, Zorn und Wut, in Form von Empörung über Ungerechtigkeiten, Korruption und Mensch und Tier verachtendes Verhalten durchaus ihre Berechtigung haben, befindet sich Pierre Stutz in guter Gesellschaft mit dem dichtenden französischen Diplomaten Stéphane Hessel. Dieser erreichte noch im Alter von 93 Jahren mit seinem Appell, verfasst in einem kleinen Büchlein mit dem Titel „Empört euch!“, sehr viele Menschen. Energisch appelliert Stéphane Hessel zum friedlichen Widerstand gegen die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft; gegen die Diktatur des Finanzkapitalismus, gegen die Unterdrückung von Minderheiten und gegen die ökologische Zerstörung unseres Planeten. Ärgern ja – empören ja, aber es nicht damit bleiben lassen; die Kraft der Wut und des Zornes konstruktiv nutzen. Demzufolge schrieb Stéphane Hessel einen weiteren Appell mit dem Titel: „Engagiert euch!“

Selbstverständlich ist dies leichter gesagt als getan. Diesbezüglich tief beeindruckt zeigt sich Pierre Stutz von Antoine Leiris, nachdem dieser seine Frau beim Anschlag auf den Pariser Vergnügungsclub «Bataclan» verloren hatte. Zornig, doch auch leidenschaftlich friedensorientiert meinte Leiris: «Meinen Hass bekommt ihr nicht!». Beeindruckt war Pierre aber nicht allein von dieser Aussage, sondern auch deswegen, weil Leiris später gestand, dass ihn sein idealistischer Vorsatz überforderte, „den Killer nicht zu hassen“. So blieben seine Tränen nicht nur „Tränen der Trauer“, doch auch „Tränen der Wut“, zu dessen begleitenden Rachegedanken er sich beschämend bekannte.

Verarbeitung braucht eben Zeit und Ideen, einen kreativen Weg aus dem ausweglosen Teufelskreis des Hasses zu finden, wenn immer möglich mit dem Ziel der Vergebung. Auch die Einsicht der jüdischen KZ Insassin Etty Hillesum ist bemerkenswert, wie Kraft von Zorn in eine konstruktive Richtung gelenkt werden kann. 1943 schrieb sie in ihr Tagebuch: „Heute wird mir klar, dass du, Gott, uns nicht helfen kannst, denn wir müssen dir helfen, um die Friedenskraft in uns zu verteidigen. Zum Glück müssen viele von uns keine solch schrecklichen Erfahrungen durchleben wie dies Antoine Leiris und Etty Hillesum wiederfuhr.

Pierre schreibt, dass das Ausleben von Empfindungen wie Ärger und Zorn auch mit authentisch-Sein zu tun habe; seine Regungen solle man nicht unterdrücken, sondern sich ihrer bewusst werden und lernen sie besser zu beherrschen. Denn wer seine Aggressionen in sich fresse werde depressiv.

Aggression und Depression sind Zwillingsschwestern“,

die eine tut’s mit Zorn, die andere mit sich selbst belästern.

Die Opferrolle wird verteilt, es herrscht ungnädiges Gebot;

Aggression Schuld zuteilt und Depression den Seelentod.

Es erscheint ein Hoffnungslicht, wenn Zornes Pep sich sublimiert,

sein Fluch an Zuversicht zerbricht –

verfluchtes Wechselspiel sein Spuk verliert.  

Ich denke diesbezüglich auch an die Friedensarbeit. Da Frieden ein Quäker-Zeugnis ist, müsste die warnende Botschaft der Verletzlichkeit an Aggression bzw. Depression auch für Quäkers (uns) von Bedeutung sein. Insbesondere auch deswegen, weil Friedenspolitik immer auch ein Idealzustand ist. Dieser kann oft nicht oder nur stückweise erreicht werden. Daraus folgen Enttäuschungen und enttäuschte Idealisten sind der Aggression bzw. der Depression zu verfallen besonders verletzlich. Gründend in meinen Erfahrungen in kirchlichen Kreisen schliesse ich, dass religiös motivierte Menschen sich Aggressionen nicht erlauben und Enttäuschungen dann doch eher in die Depression führen. Ich denke, dass wir gut beraten sind, wenn wir lernen, die im Zorn enthaltene Energie nicht auf diese unnütze Art zu verschwenden. Über die Kunst der Sublimierung kann die im Ärger enthaltene Energie von zerstörerischen Ergebnissen befreit werden um sie für erbauende Zielsetzungen zu nutzen. Last but not least, ich habe auch gelernt – und dafür bin ich sehr dankbar – dass Quäkers Kraft aus dem Schweigen schöpfen und aus der Unterstützung die das Gemeinschaftsleben bieten kann.

Peter Struba, Lausannegruppe

 

 

 

 

 

 

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